In den Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen setzten die jeweiligen Landesregierungen zu Beginn der 1990er Jahre unabhängige Historikerkommissionen ein, die Empfehlungen für deren Neukonzeption gaben. Bereits die konstituierende Sitzung der Historikerkommission zur Neuorientierung der Gedenkstätte Buchenwald am 15. September 1991 empfahl, in der Gedenkstätte sowohl an das nationalsozialistische Konzentrationslager als auch an das Speziallager Nr. 2 zu erinnern. Der Schwerpunkt sollte dabei auf dem nationalsozialistischen Konzentrationslager liegen, die Erinnerung an das Speziallager nachgeordnet und die Erinnerungsstätten an die beiden Lager räumlich voneinander getrennt werden.
Eines der größten Probleme der Forschung zum Speziallager Nr. 2 war zunächst, dass es keinen Zugang zu den sowjetischen Akten gab. 1993 machte das Russische Staatsarchiv die Materialien zur Geschichte der Speziallager zugänglich. Ein deutsch-russisches wissenschaftliches Kooperationsprojekt wertete die Quellen aus. Dabei wurden u. a. die Informationen aus der sowjetischen Lagerregistratur entziffert und in Datenbanken übertragen. Nun war es möglich, Anfragen von Angehörigen nach dem Verbleib von Inhaftierten, aber auch nach dem in den sowjetischen Akten verzeichneten Grund für die Verhaftung zu beantworten. Wissenschaftliche Forschungen lieferten neue Erkenntnisse zur Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft und zur historischen Entwicklung des Speziallager-Systems. Sie widersprachen Pauschalurteilen, die häufig noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammten. Aufgrund der Forschungen konnte 1997 bis 2003 in mehreren Auflagen ein Totenbuch publiziert werden, das seit 2015 auch online verfügbar ist. Durch intensive Zusammenarbeit mit Betroffenen mittels Fragebögen, Rundbriefen und gemeinsamen Gesprächskreisen baute die Gedenkstätte ein Archiv mit Zeitzeugenberichten auf. Darüber hinaus wurde die historische Sammlung zur Geschichte des Speziallagers Nr. 2 stetig erweitert.Wissenschaftliche Aufarbeitung
Im April 1990 eröffnete die Gedenkstätte Buchenwald im West-Berliner Martin-Gropius Bau die bereits vor dem Mauerfall geplante Ausstellung „K. L. Buchenwald, Post Weimar“ zur Geschichte des Konzentrationslagers Buchenwald.
Aus den wenigen vorliegenden Informationen zu den sowjetischen Internierungslagern erstellten Gedenkstättenmitarbeiter:innen eine vierseitige Informationsbroschüre, die auf großes Interesse stieß.
Am 25. April 1990 trafen sich mehrere Wissenschaftler:innen aus der DDR in Berlin (Ost). Sie berieten u. a. über die Aufarbeitung der Geschichte der sowjetischen Speziallager. Ende 1990 veröffentlichten einige von ihnen die ersten Forschungsergebnisse. Für ihre Arbeiten konnten sie noch nicht auf sowjetisches Archivmaterial zurückgreifen.
Zur Neuausrichtung der beiden Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora wurde 1991/92 eine Historikerkommission eingesetzt. Ihr gehörten die Historiker Prof. Dr. Eberhard Jäckel, Dr. Konrad Adam, Prof. Dr. Lothar Gall, Dr. Ulrich Herbert, Prof. Dr. Eberhard Kolb, Prof. Dr. Manfred Messerschmidt, Prof. Dr. Manfred Overesch, Prof. Dr. Reinhard Rürup, Prof. Dr. Christoph Stölzl, Prof. Dr. Wolfgang Wippermann und die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau Barbara Distel an. Nach drei Sitzungen in Weimar und Nordhausen erarbeitete sie Empfehlungen für die Arbeit und Ausrichtung der beiden Gedenkstätten.
Auszüge aus den Empfehlungen der Historikerkommission
„Es soll sowohl an das nationalsozialistische Konzentrationslager als auch an das sowjetische Speziallager 2 erinnert werden. Der Schwerpunkt soll auf dem Konzentrationslager liegen. Die Erinnerung an das Speziallager soll nachgeordnet werden. Die Erinnerungsstätten sollen räumlich deutlich voneinander getrennt sein. [...]
Für die endgültige Gestaltung einer Gedenkstätte zum Speziallager 2, für eine Ausstellung bzw. Dokumentation sind weitere Aufklärungen und langfristige Forschungsarbeit notwendig. [...]
Für die Ausstellung, die an das Speziallager erinnert, soll ein neues Gebäude errichtet werden. Der Bau soll flach gehalten werden. Er soll in dem Areal unterhalb des Gebäudes der Effektenkammer und der Desinfektion seinen Platz finden, wo das Lager an das Gräberfeld grenzt. Das Gebäude soll zum Gräberfeld geöffnet, aber auch von der Seite des Lagers her zugänglich sein. [...]
Das Gräberfeld unterhalb des ehemaligen Häftlingslagers sollte eine Erinnerungsstätte an die Opfer des sowjetischen Speziallagers aufnehmen. […] Die Möglichkeit des individuellen Gedenkens ist weiterhin zu gewährleisten (Grabsteine bzw. -kreuze, Tafeln etc.).“
Gedenkstätte Buchenwald (Hrsg.): Zur Neuorientierung der Gedenkstätte Buchenwald. Weimar-Buchenwald 1992. S. 10-14.
1992/93 erhielt die Gedenkstätte Buchenwald mikroverfilmte Unterlagen aus dem Speziallager-Bestand des Russischen Staatsarchivs Moskau. Sie umfassten neben Häftlingslisten auch Untersuchungsberichte, Befehle und Korrespondenzen zu den verschiedenen Speziallagern.
Eine eigene Arbeitsgruppe (Dr. Kamilla Brunke, Siegfried Brunke, Dr. Natalja Jeske und Gabriele Naperkowski) übersetzte die sowjetischen Registraturakten (Lagerjournal, Transportlisten, Totenbuch) ins Deutsche. Die gewonnenen Daten wurden Mitte der 1990er Jahre digital verarbeitet. Dies ermöglichte eine schnellere Suche nach einzelnen Personen. Zudem ließen sich in kurzer Zeit statistische Erhebungen anfertigen, etwa zum Alter der Internierten und den angegebenen Haftgründen.
1993 erschien das erste Überblickswerk zum Speziallager Nr. 2. Dr. Bodo Ritscher, Leiter der Arbeitsgruppe zum sowjetischen Speziallager, konnte dafür auf Erinnerungsberichte ehemaliger Lagerinsassen und erstmals auf russisches Archivmaterial zurückgreifen.
Eine Arbeitsgruppe der Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen unter Leitung von Prof. Dr. Lutz Niethammer (Friedrich-Schiller-Universität Jena) und Dr. Alexander von Plato (Fernuniversität Hagen) edierte und kommentierte die Dokumente aus dem Russischen Staatsarchiv zur sowjetischen Lagerpolitik in Deutschland. Die Ergebnisse wurden in zwei umfangreichen Bänden (Band 1: Studien und Berichte, Band 2: Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik) publiziert.
In ihrer Einleitung wiesen die Herausgeber auf die besonderen Herausforderungen der Speziallager-Geschichte hin:
„Der Trauer um die Opfer der sowjetischen Sonderlager korrespondiert das Erschrecken an der Tatsache, wie wenige Deutsche sich dem NS-Regime verweigerten. Diese Trauer und dieses Erschrecken können zur Arbeit an einem geschichtlichen Bewusstsein motivieren, das sich den Brüchen der deutschen und der russischen Geschichte in der Mitte des 20. Jahrhunderts ungeteilt stellt und dem zur dauerhaften Überzeugung wird, dass Unrecht durch Unrecht sich weder ahnden noch sühnen, noch sonst aus der Welt schaffen lässt.“
Seit den 1990er Jahren informierte die Gedenkstätte Buchenwald in mehreren Publikationen über verschiedene Aspekte der Speziallager-Geschichte.